Rolle und Stellenwert des Geschmacks alkoholischer Getränke am Beispiel Bier

Meine Ausführungen beziehen überwiegend sich auf die männliche Konsumentwicklung. Für Mädchen und Frauen gelten noch einige andere Kriterien.

 

 

Welche Bedeutung hat der Geschmack eines Getränkes für die Entwicklung süchtigen Konsumverhaltens bis hin zur Abhängigkeit?

 

Es passiert irgendwann in der jugendlichen Entwicklung. Endlich ist man dabei, das erste Bier wird getrunken und noch keinem hat es geschmeckt. Meist ist Bier ja das Einstiegsgetränk, weil der Konsum am meisten verbreitet ist, und das Getränk als am wenigsten gefährlich eingestuft wird.

 

Der etwas bittere Beigeschmack verunsichert die meisten Probierer, man weiss gar nicht so recht, wo man dran ist. Gleichzeitig ist diese Geschmacksvariante aber auch verführerisch und fordert einen erneuten Konsum heraus. Ist der überstanden, geht es meist recht schnell. Noch ein paar Wiederholungen und jeder wird behaupten, dass ihm das Bier schmeckt. Ausnahmen bestätigen auch hier die Regel. Das Klassenziel ist nun erreicht. Jetzt werden die verschiedenen Sorten durchprobiert und die persönliche Marke festgeschrieben, bei der es dann meistens bleibt.

 

Das Durchprobieren der verschiedenen Sorten während der Konsumentwicklung hat psychologisch betrachtet eine erhebliche Bedeutung. Die verschiedenen Geschmackskreationen werden im Gedächtnis gespeichert und bleiben ein Leben lang eine jederzeit abrufbare Erinnerung. Das gilt natürlich nur für diejenigen, die den Konsum irgendwann einstellen.

 

Dr. Manfred Köhnlechner schreibt in seinem Buch "Alkohol Droge Nr. 1": Suchtdruck entsteht durch Geschmack. Er berichtet, dass viele Vollräusche mit dem Konsum von alkoholfreiem Bier beginnen. Alkoholfreie Biere transportieren den Biergeschmack jedoch ohne die entsprechende Wirkung. Dies führt oft zum Umstieg über den entstandenen Suchtdruck. Gefährlich also für trockengelegte Alkoholiker.

 

Selbstverständlich ist Bier auch ein Durstlöscher und wird in dieser Verwendung häufig getrunken. Auf subtile Art und Weise wirkt Bier über Geschmackssinn und Geschmacksempfinden bedürfnisbefriedigend, und zwar unabhängig vom eigentlichen Alkoholgehalt.

 

Die Bedeutung des Geschmacks ist also ganz erheblich, auch bei den vielen normalen Trinkern. Werbemaßnahmen zielen ganz entschieden darauf ab. Der aktuell (12/09) laufenden Werbespot von König-Pilsener mit Til Schweiger ist das Beste, was der Markt bisher gezeigt hat. Til Schweiger genießt in der Höchststufe an Genußfähigkeit ein Glas Bier, der kurze Moment des Augenschließens macht das überdeutlich. Eine andere entstehende Assoziation ist die folgende: Feierabend, jetzt habe ich ein Kühles verdient. Glaubwürdig werden all die vielen Argumente "um das Bier herum" transportiert. Als Sympathieträger weckt der Schauspieler leicht die notwendigen Botschaften, um die Zuschauer an die Kühlschränke zu bringen. Hier ist tatsächlich Kopfarbeit erforderlich, um das nicht zu tun.

 

Eine lerntheoretische Betrachtung:

Die von mir geschilderte Konsumentwicklung beinhaltet zahlreiche Aspekte sogenannter operanter Konditionierung. Biertrinken unterliegt also einem Lernprozess. Nach behavioristischer Ansicht wird Verhalten, also Bierkonsum, beibehalten, wenn es verstärkt wird. Verhaltensweisen werden eingestellt, wenn sie nicht mehr verstärkt werden. Sogenannte soziale Verstärker sind maßgeblich an dem Lernprozess, der Bierkonsum heißt, beteiligt. Soziale Verstärker sind z.B. das Lächeln des Gegenübers, der kopfnickende Zuspruch, Komplimente, Schulterklopfen u.v.m. Ist jemand also dabei, das Biertrinken zu lernen, sind notwendigerweise derartige Verstärker in der unmittelbaren Umgebung vorhanden.

Operante Konditionierung bezieht sich also auf Verhaltensweisen, die Einfluß auf die Umgebung haben. Verstärker steuern die Häufigkeit von Reaktionen, also von Verhalten. Der zielsicherste Verstärker ist Geld.

 

 

Wie ist der Bedeutungsgehalt einzuschätzen im Hinblick auf mögliche und sicher individuell unterschiedliche Rückfallgefährdung?

 

Die Geschmackskomponente ist von erheblicher Bedeutung im Hinblick auf mögliche Rückfallgefahren bei abstinent lebenden Alkoholikern. Über den Lernvorgang der sogenannten klassischen Konditionierung ist der Geschmack im Gedächtnis gespeichert. Vielfach auch mit emotionalen Aspekten versehen, wird er dort auf Abruf bereitgestellt. Zum Beispiel Werbemaßnahmen zielen auf dieser Ebene einer Ansprechbarkeit ab. Das gilt für jeden. Ein abstinent lebender Alkoholiker muss also lernen zu widerstehen.

 

Nach behavioristischer Ansicht kann Verhalten natürlich verändert oder auch gelöscht werden. Ein Verhalten ist dann gelöscht, wenn es auf Nullfrequenz gebracht ist ,also vom Organismus nicht mehr gezeigt wird. Damit ist es aber nicht gänzlich verschwunden, sondern kann als Reaktion wieder auftauchen (Spontanremission).

 

 

Ist verabreichte Geschmacksaversion hilfreich?

 

Durchaus kann es hilfreich sein, innerhalb eines Behandlungsverfahrens methodisch eine Geschmacksaversion herbeizuführen. Hierbei werden Patienten entsprechende Medikamente verabreicht, die dann Übelkeit und Erbrechen schon bei geringen Mengen Alkohol auslösen. Die Wirkung dieser Medikamente kann jedoch "übertrunken" werden, womit die die Erfolgsaussichten ausgehöhlt und minimiert werden.